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Gesellschaft

Frauen unerwünscht – Wie Sexismus die politische Kultur prägt

Es ist Montag. Sitzung des geschäftsführenden Landesvorstandes der SPD Sachsen-Anhalt. Dank Coronapandemie digital. Ich bin über das Handy eingewählt und sehe am Rand des Fußballfeldes meinem kleinen Sohn dabei zu, wie er ein Matchboxauto immer wieder die Treppe runterfahren lässt, während mein Großer beim Fußballtraining ist. Der Empfang ist mies und es hilft auch nicht, dass der Kleine alle drei Sekunden nach mir ruft, weil er mir etwas zeigen will oder weil er Durst hat oder weil sein Schuh offen ist oder weil er mal zur Toilette muss oder, oder, oder…

Am nächsten Tag ist abends die Sitzung des Ortsvereins. Mittwochs wahlweise Bauausschuss oder Kreisvorstand. Donnerstags sind dann regelmäßig Stadtratssitzungen. Am Wochenende gerne mal Podiumsdiskussionen, Parteiveranstaltungen, Jusotreffen und wenn das alles nicht ist, dann steht meist etwas von Gewerkschaft oder Vereinen auf dem Programm. Die Mitwirkung in AGs und Ausschüssen habe ich mittlerweile nahezu komplett eingestellt. Es ist schlicht nicht machbar. Auch in Onlineformaten nicht. Die Kraft reicht einfach nicht, um allem und immer gerecht zu werden. Auch nach zwei Jahren Pandemie gibt es noch nicht eine Videokonferenz, bei der die Kinder nicht wenigstens mal winken wollen. Es ist für sie einfach zu spannend, Mama bei der Arbeit zuzusehen. Das ist unglaublich schön und gleichzeitig unglaublich anstrengend.

So wie mir geht es etlichen Eltern mit kleinen Kindern, insbesondere Müttern. Frauen sind nicht nur insgesamt in der Politik und in Führungspositionen unterrepräsentiert, in der Kommunalpolitik, dem politischen Fundament unserer Demokratie, wird das nochmal besonders deutlich. Gemeinden mit unter 20.000 Einwohner*innen werden gerade mal in 10% der Fälle von einer Frau geführt. Bei größeren Städten ist es lediglich noch jede 17., die eine Frau an der Spitze hat.

Dabei leiten 40% der Bürgermeisterinnen ihre Kommune im Ehrenamt, bei Männern trifft das nur auf jeden vierten zu. Die Zahl der Bürgermeisterinnen stagniert seit Jahren auf einem niedrigen Niveau. Zu den möglichen Gründen führt die EAF Berlin in ihrer Studie von 2020 an, dass sich fast ein Drittel der Frauen mit persönlichen Angriffen und einem schmutzigen Wahlkampf konfrontiert sieht (bei Männern 17%). Ebenso viele Frauen haben bereits Bekanntschaft mit sexistischen Vorurteilen gemacht und ganze 13% von ihnen wurden sogar sexuell belästigt (bei Männern 2%). Diese Zahlen beziehen sich wohlgemerkt nur auf Bürgermeister*innen. Stadt- und Kreisrät*innen sind hierbei gar nicht erfasst worden. Doch auch hier dürfte die Lage kaum anders sein. Gerade mal ein Viertel der Stadt- und Gemeinderäte besteht aus Frauen.

Das ist kein Wunder, wenn man sich anschaut, dass die Hälfte der Bürgermeisterinnen bei ihrer Befragung angab, bei ihrer ersten Wahl enorme Schwierigkeiten und Widerstände überwinden zu müssen. Bei den männlichen Befragten trifft das nur auf etwas mehr als ein Drittel zu. Hinzu kommt ein enormer zeitlicher Aufwand. Allein bei den ehrenamtlichen Bürgermeister*innen geben 37% der Befragten an, 21-30 Stunden pro Woche für ihr Amt aufzuwenden. Zweifünftel der Frauen an der Spitze einer Kommune üben ihre Funktion ehrenamtlich aus. Das bedeutet im Klartext, dass dieser Arbeitsaufwand noch auf ihre reguläre Arbeitszeit in ihrem Job obendrauf kommt, was im Umkehrschluss auch heißt, dass diese Zeit für Familie fehlt. Hierbei werden Frauen dafür öfter kritisiert als Männer. Während Männer, die sich neben ihrem Job noch engagieren „voller Elan“ sind, sind Frauen „karrieregeil“. Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft mir vorgeworfen wurde, dass ich meine Kinder vernachlässigen würde, weil ich abends regelmäßig an Sitzungen teilnehme. Oder wie oft ich bei einer Kandidatur gefragt wurde, wie ich denn das mit meinen Kindern machen will. Männliche Mitbewerber mit zum Teil deutlich kleineren Kindern wurden das übrigens nicht gefragt. Warum auch? Wäre ja albern…

In der öffentlichen Wahrnehmung gelten Frauen häufig als „zu weich“ für die Politik und sprechen sie Probleme offen an, dann „echauffieren“ sie sich und werden mit Begriffen wie „hysterisch“ belegt. Während Männer „zielstrebig“ agieren, will Frau „noch was werden“. Was bei ihm als „tatkräftig“ gilt, ist bei ihr schnell „übereifrig“. Und bekommt Frau den Spagat zwischen politischem Amt und Familie mal nicht anders organisiert, als die Kinder zu einem Termin mitzubringen, dann ist sie die „Rabenmutter“, welche ihren beruflichen Erfolg über das Kindeswohl stellt. Dieses Spiel ließe sich endlos fortführen.

Das alles habe ich mehr als einmal zu hören bekommen und durfte mich rechtfertigen, wie ich das vor mir selbst denn verantworten könnte. Als Frau und Mutter Prioritäten zu setzen und dabei nicht für mindestens 50% des persönlichen und beruflichen Umfelds zum Freiwild für Vorwürfe und gut gemeinte Ratschläge zu werden, ist quasi unmöglich. Das Einzige was bleibt, ist aufgeben oder sich ein enorm dickes Fell zulegen. Doch je öffentlicher das Amt wird, desto widerwertiger werden nun mal auch die Angriffe. Wären diese wenigstens fachlich, könnte man damit ja noch irgendwie arbeiten. Aber was soll Frau daraus lernen, wenn statt der eigenen politischen Inhalte der Kleidungsstil kritisiert wird, wie bei Annalena Baerbock, als sie ihr Amt antrat? Oder wenn öffentlich diskutiert wird, ob man(n) sie für fickbar hält? Was soll Frau damit anfangen, wenn die Tatsache, dass ihr Partner die Kinder versorgt, während sie ihrer Arbeit nachgeht, öffentlich als Heldentat gefeiert wird?

Nichts davon ist konstruktiv und bringt uns, weder uns Frauen noch uns als Gesellschaft, irgendwie voran. Und so lange sich konservative Politiker dafür feiern, dass man es „Geschafft!“ hat eine junge, intelligente und engagierte Frau aus dem Amt zu jagen, so lange wird es auch kaum möglich sein mehr Frauen für eine Kandidatur, selbst in politischen Ehrenämtern, zu begeistern. Denn wer klebt sich schon gerne freiwillig die Zielscheibe auf den Rücken? Richtig!

In den letzten Jahren kam, gerade was Hass und Hetze anbelangt, ja schon etwas Bewegung in die Sache. Das Thema rückt immer mehr in den Fokus der allgemeinen Gesellschaft, jedoch auch hierbei häufig männlich dominiert. Frauen reden über ihre Erfahrungen im Umgang mit persönlichen Attacken anscheinend ungern. Ein Grund dafür kann sein, dass sie hierbei leider viel zu oft zu reinen Sexobjekten degradiert werden und viele der Einschüchterungsversuche gegen sie mit der Androhung einer Vergewaltigung, einer der vermutlich perfidesten Drohungen, die es überhaupt gibt, einhergehen. Alternativ werden auch gerne mal ihre Kinder bedroht. Dass man diese Szenarien nicht noch unbedingt in der Öffentlichkeit breittreten und somit potentielle Nachahmer auf den Plan rufen will, ist verständlich, trägt jedoch zur Marginalisierung von Gewaltandrohungen gegen Frauen in der Politik bei. Es braucht mehr mutige Frauen, die bereit sind öffentlich über ihre Erfahrungen zu berichten und somit allen anderen Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.

Dass es im Jahr 2022 immer noch nicht möglich ist, ein politisches Mandat (egal ob haupt- oder ehrenamtlich) besser mit der Familie zu vereinbaren, ist auch ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft. Nicht nur, dass der gesellschaftliche Druck auf Frauen immer noch enorm ist, sich zwischen Familie, Beruf und Ehrenamt zu zerreißen und Frauen häufig durch Werbung und soziale Medien suggeriert wird, dass es absolut leistbar und normal ist, in all diesen Bereichen immer perfekt zu sein (Spoiler: Nobody is perfect!), es ist auch ehrlich gesagt  ein Unding, dass es für Politikerinnen nicht möglich ist in Mutterschutz oder Elternzeit zu gehen, ohne das unweigerliche Gefühl zu verspüren ihr Amt zu vernachlässigen. Eine temporäre Vertretungsregelung zu ermöglichen, ist hierbei meiner Meinung nach längst überfällig. Und das betrifft nicht nur Frauen und auch längst nicht nur das Hauptamt. Gerade auch Politiker, die auch immer eine gesellschaftliche Vorbildfunktion haben, werden so davon abgehalten, sich in Elternzeit um ihren Nachwuchs zu kümmern. Gleiches gilt übrigens für gesundheitliche Beschwerden. Das aktuelle System hält Männer wie Frauen dazu an, aktiv über ihre körperliche Belastungsgrenze hinwegzugehen und Krankheiten zu ignorieren, bis es endgültig nicht mehr geht. Dass, wofür progressive Politik seit Jahrzehnten kämpft, ermöglichen wir gleichzeitig unseren politischen Repräsentant*innen nicht. Dann braucht sich auch niemand mehr wundern, dass keine*r den Job mehr machen will, insbesondere in den Kommunen.

Ich möchte dafür plädieren, nicht nur veraltete Rollenbilder endlich hinter uns zu lassen und achtsamer mit dem Hass in unserer Gesellschaft umzugehen, sondern auch die Maßstäbe, die an politische Akteur*innen angelegt werden, endlich ins 21. Jahrhundert zu holen. Es ist längst überfällig.

Von Katharina

Katharina ist 30 Jahre alt und gelernte Köchin. Seit 2017 ist sie in der SPD und seit Anfang 2020 stellvertretende Vorsitzende der SPD Sachsen-Anhalt. Sie interessiert sich für Gesundheitspolitik und gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West.

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