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Grundsätzliches

Außen grün – innen schwarz

Winfried Kretschmann und die Grünen Baden-Württemberg erteilen der Ampelkoalition eine Absage. Heute, am Samstag, sollte ein abschließendes Sondierungsgespräch den Grundstein für die Verhandlungen zur Fortsetzung der grün-schwarzen Koalition legen.

Und so kam es auch. „Es geht nicht um irgendeine Petitesse“, sagt der neue, alte Ministerpräsident in der Pressekonferenz, „sondern darum, mit welchem Partner die Grünen das Land in den kommenden fünf Jahren regieren.“

Auch, wenn das Agieren der CDU in der Regierung einige Grüne sehr frustriert habe, sei man sich einig: Es gehe nicht um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft Baden-Württembergs.

Eines haben Zukunft und Vergangenheit gemeinsam: Die grün-schwarze Koalition.

Man sei kein bloßer Abnickverein, heißt es, aber die konservative Politik der letzten fünf Jahre nickt man schlussendlich dennoch ab.

Wieder einmal zeigt sich damit: Die Grünen unter „Landesvater“ Kretschmann stehen nicht für Fortschritt, nicht für Innovation und vor allem nicht für progressive Bündnisse.

Aber von vorne:

Es ist Sonntag, der 14. März und während über Stuttgart die Sonne untergeht, wird pünktlich um 18:00 Uhr die erste Hochrechnung der Wahlen zum 17. Landtag von Baden-Württemberg veröffentlicht.
Während bei Grünen und FDP die Sektkorken knallen, natürlich nur metaphorisch, denn wegen Corona trägt man Maske, verschwindet mit den letzten Sonnenstrahlen auch der verbliebene Hoffnungsschimmer der CDU hinter dem Horizont. 24,1% – das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der CDU BW.

Schon am Wahlabend ist klar: Die grün-schwarze Koalition ist abgewählt. Die Bürger*innen haben genug vom Stillstand und der Klüngelpolitik der konservativen Regierung: Baden-Württemberg hat die Nase voll von fragwürdigen Maskendeals, gescheiterter Digitalisierung und Ideenlosigkeit in Umwelt- und Sozialpolitik.

Ganz Baden-Württemberg? Nein! Eine von unbeugsamen Konservativen bevölkerte Partei hört nicht auf, dem Fortschritt Widerstand zu leisten – und leider ist sie Wahlsiegerin.

Der Auftrag zur Regierungsbildung liegt, das hatte niemand anders erwartet, bei Winfried Kretschmann. Zwei Optionen liegen auf dem Tisch. Die Grünen haben die Auswahl zwischen einem „Weiter so“ mit der Partei, die sie noch vor wenigen Tagen im Duell der Spitzenkandidierenden als Bremsklotz in der Klimapolitik bezeichneten und einem progressiven Neustart mit SPD und FDP.

„Wer mit uns regieren will muss bereit sein, die großen Zukunftsaufgaben gemeinsam mit uns anzupacken.“, ließen die Landesvorsitzenden der Grünen, Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand, verlauten. SPD und FDP, zu dieser Aufgabe bereit, einigten sich, gemeinsam die Möglichkeit einer Koalition mit den Grünen auszuloten und hier hätte die Geschichte ein Happy End haben können. Doch trotz Wahlniederlage und politischer Konsequenzen der Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann scheint auch die Union in einem ihrer Faxgeräte eine Einladung zu Sondierungsgesprächen gefunden zu haben.

Progressive Ideen für „die großen Zukunftsaufgaben“ hat man dort zwar nicht, jedenfalls nicht dergestalt, dass es in den letzten fünf Jahren Regierungsarbeit erkennbar gewesen wäre. Aber an die Dienstwagen hatte man sich gewöhnt und so trat auch die CDU in Sondierungsgespräche mit ihrem Regierungspartner ein.

Das Ergebnis kennen wir seit gestern. Wenig überraschend – dafür umso enttäuschender – haben die Grünen entschieden, der zerrütteten Beziehung noch eine Chance zu geben. Immerhin wurden ja Ehrenerklärungen unterschrieben und vielleicht wird ja diesmal alles besser.

Nun könnte man fragen: Die SPD hat doch im Bund selbst der CDU in die Regierung geholfen. Wie kommt also die Sozialdemokratie dazu, die Regierungsbildung in Baden-Württemberg zu kritisieren?

Diese Frage stellt sich allerdings nur scheinbar und nur genau solange, bis man sich eine Minute Zeit nimmt, gegen den Reflex anzukämpfen, krampfhaft die Sozialdemokratische Partei zu kritisieren und die jeweiligen Umstände vergleicht.

Nach der Wahl 2005 wäre neben der GroKo eine Ampelkoalition möglich gewesen, die von der FDP nicht gewollt war. Die Alternative: Neuwahlen.

Im Jahr 2013 wäre Rot-Rot-Grün infrage gekommen, das allerdings mit der damaligen Linkspartei nur rechnerisch. Gerade mit den westdeutschen Landesverbänden wäre eine inhaltliche Einigung unrealistisch gewesen. Die Alternative: Neuwahlen.
Nachdem 2017 die Möglichkeit einer Regierung ohne GroKo bestand, scheiterten aus inhaltlichen Gründen die Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition. Auf Bitte des Bundespräsidenten hin und nach einer groß angelegten Mitgliederbefragung entschied sich die SPD für die Regierungsbildung mit der Union. Die damalige Alternative – Ihr werdet es erraten haben: Neuwahlen.

Die Koalition mit der CDU, das war immer klar, ist die letzte Option, die unerwünschte, aber notwendige ultima ratio.

In Baden-Württemberg war sie das nicht. Keine Not dieser Welt hat die Grünen gezwungen, sich der CDU zuzuwenden. Eine Alternative lag zu jedem Zeitpunkt seit Verkündung des amtlichen Wahlergebnisses auf dem Tisch. Man hat sich bewusst dagegen entschieden.
Wer „aber die FDP“ ruft, muss sich fragen lassen, ob die Union die bessere Alternative ist. Wer das bejaht, darf sich zurecht konservativ nennen und Winfried Kretschmann hat für sich entschieden, genau das zu tun.

Allzu leicht wäre es, nun die Schuld dem alten weißen Mann in seinem merkwürdigen Königreich irgendwo im Südwesten Deutschlands, wo die Uhren ein bisschen anders gehen – meist nach – aufzubürden. Doch in dem Entscheidungsprozess offenbart sich auch die Haltung der Partei. Die Grünen haben sich nicht nur gegen den Wunsch ihrer Wähler*innen, sondern gegen den ausdrücklichen Wunsch der eigenen Parteibasis und –jugend entschieden. Eine Mitgliederbefragung gibt es nicht, der Parteivorstand ist angesichts der Machtfrage vor dem eigenen Ministerpräsidenten eingeknickt.

Schwerer als die Ignoranz gegenüber den eigenen Parteistrukturen wiegt nur die Tatsache, dass die Grünen ihre Entscheidung in den Sondierungsgesprächen ausdrücklich an inhaltliche Fragen geknüpft haben und die größten Überschneidungen mit der Union sehen.
Die Absage an die Ampel ist nicht nur eine Absage an ein progressives Bündnis. Es ist eine Absage an Chancengleichheit und Innovation – eine Absage an den Fortschritt.

Die Entscheidung für Grün-Schwarz ist ein Gradmesser für die Bundestagswahl im Herbst.

Aus den aktuellen Umfragen, nicht nur in Baden-Württemberg, lernen wir: Mehrheiten jenseits der Union sind möglich.
Wenn wir dieses Land voranbringen und dem Stillstand, gar dem Rückschritt, der innerhalb der Union eingekehrt ist, ein Ende setzen wollen, dürfen wir sie nicht ungenutzt lassen.
Die Grünen Baden-Württemberg haben das gestern getan.

Wer im September sein Kreuz setzt, sollte das im Kopf behalten.

Und wenn die Sonne am 26. September über Berlin untergeht, dann wirft sie ihre Strahlen hoffentlich zum letzten Mal auf einen Bundestag, in dem Ideenlosigkeit, Stillstand und Lobbyismus – kurz gesagt CDU und CSU – regieren.

Von Jon

Jon ist 23 Jahre alt und kommt gebürtig aus der Region Hannover, wohnt aber seit der 6. Klasse in Baden-Württemberg. Nach zwei Semestern Japanologie in Heidelberg entschied er sich, Rechtswissenschaften in Tübingen zu studieren. Mitglied der SPD ist er seit 2016 und engagiert sich seitdem hochschulpolitisch unter anderem im Verwaltungsrat des StuWe Tübingen. Trotz norddeutscher Wurzeln war er 2018 außerdem stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos BW. Thematisch liegen ihm vor allem Innen- und Justizpolitik am Herzen.

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