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Außen & Europa

Die Rückkehr der Jedi-Ritter – Happy End oder Atempause für die USA?

Joe Biden ist der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Doch was folgt darauf? Was für Fragen stellen sich nach der Wahl? Ist es wie bei Super Mario, wenn man Bowser dann endlich besiegt hat, die Kassette aus dem Super Nintendo nimmt und das Leben „ganz normal“ weitergeht oder um im Sinne der Überschrift zu bleiben: Haben wir das Imperium nun endlich besiegt? 

So einfach ist es dann doch nicht, eigentlich stellen sich heute wieder mindestens so viele Fragen wie vor dem Wahltag. Wir haben einen Präsidenten, der seine demokratische Niederlage nicht akzeptieren will, ein tief gespaltenes Land und damit eine ganze Menge Bauchschmerzpotential.

Was bisher geschah: Gebannt haben wir alle fast eine Woche durchgehend John King & Co dabei zugesehen, wie sie die Wahlkarte nach und nach in rote und in blaue Staaten färbten, alle erdenklichen Konstellationen durchspielten und uns sagten, auf welche Counties es am Ende ankommen würde. Nach der Wahlnacht sah es düster aus, zwar wussten wir, dass erstmals viele US-Bürger Briefwahl durchgeführt hatten, aber doch fehlte zumindest mir die Fantasie, wie diese Stimmen Abstände von 12, 8 oder 7 Prozent wettmachen sollten. Erst im Laufe des Mittwochs (oder Donnerstags? Das Zeitgefühl war genauso wie der Schlafrhythmus dieser Tage etwas verschoben) drehte sich nach und nach das Bild und wir sahen, wie nach und nach Städte wie Milwaukee, Detroit und Atlanta das Bild drehten. Am Ende waren es Philadelphia und Pittsburgh, die dafür sorgten, dass am späten Samstagnachmittag die großen Fernsehanstalten das Bild des ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden mit dem Titel „President-Elect“ versahen. Darauf folgten Bilder von Menschen, die auf den Straßen tanzten, ein abgewählter Präsident, der erbitterte Twittertiraden losließ und die erste gewählte Vizepräsidentin in der Geschichte der USA, die erleichtert ins Telefon rief „We did it, Joe“. Der Tag endete mit einem gewählten Präsidenten, der als ebendieser auftrat, mit einer bockstarken Rede, die das rechte Narrativ vom „Sleepy Joe“ der Lächerlichkeit preisgab. Mit den Lettern „BIDEN“ und den Klängen von „A Sky Full Of Stars“ schliefen wir ein. Die Jedi-Ritter sind zurück, der Imperator ist tot – die Welt ist wieder in Ordnung. Doch ist sie das wirklich?

United (?) States of America

Wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass man von einer heilen Welt innerhalb der USA ziemlich weit entfernt ist. Ein Bild, das sich schon vor vier Jahren zeigte: Demokraten vs. Republikaner. Liberale vs. Konservative. Vor allem aber auch Stadt vs. Land. Während Hillary Clinton die Wahl sehr deutlich in den urbanen Gebieten gewann, verlor sie quasi überall anders1https://www.npr.org/2016/11/14/501737150/rural-voters-played-a-big-part-in-helping-trump-defeat-clinton.  Zwar liegen noch keine solch detaillierten Auswertungen zur diesjährigen Wahl vor (man sagt einige Schlittenhundstimmen werden in Alaska zur Stunde immer noch gezählt), allerdings legt ein Blick auf die Wahlkarte den Schluss nahe, dass das Bild zwar etwas besser sein wird – jedoch keineswegs weniger beunruhigend. Am Beispiel von Michigan – einem Staat, der von Joe Biden gewonnen wurde – sehen wir ein typisches Bild. Der Bundesstaat, der auf den ersten Blick sehr rot ist: nur 11 von insgesamt 83 Counties gingen an den gewählten Präsidenten. Zwar reichte dies deutlich für den Gesamtsieg mit knapp über 150 000 Stimmen, jedoch zeigt es uns auch, dass die demokratischen Kandidat*innen es nicht schaffen, den ländlichen Räumen auch nur ansatzweise ein attraktives Angebot zu machen. 

Dass man aus Sicht der Demokratischen Partei nicht von einer besonders erfolgreichen Wahl sprechen kann, zeigt sich noch deutlicher, wenn man sich die Wahlen zum Repräsentantenhaus und dem Senat anschaut. Beim Repräsentantenhaus wackelten reihenweise Sitze, teilweise selbst in den Hochburgen wie Kalifornien und New York State. Das muss ein deutlicher Weckruf sein, wenn man President-Elect Biden auch nur die Möglichkeit geben will, seine Agenda durchzusetzen. Wahrscheinlich ist es, Stand heute, dass er wohl gegen einen roten Senat kämpfen muss – fällt zu den Midterm Elections 2022 auch das Repräsentantenhaus an die GOP, ist es nahezu unmöglich noch größere Entscheidungen zu treffen, als Referenz hierzu muss man sich nur die letzten 2 Jahre der Obama-Präsidentschaft ansehen.

(Eine) Neue demokratische Hoffnung?

Schnell richtete sich nach der Wahl der Blick auf eine neue Generation von Demokratischen Abgeordneten, beispielhaft sind hier nur Alexandria Ocasio-Cortez und Ilhan Omar zu nennen. Ohne jetzt groß weiter auf ihre einzelnen Positionen eingehen zu wollen, kann man sagen, dass beide das linke Spektrum der Partei abbilden. Sie definieren sich als „demokratische Sozialistinnen“ und auf den ersten Blick scheinen ihnen die Wahlergebnisse recht zu geben: Beide gewannen ihre Kongresswahlbezirke mit deutlichen Mehrheiten. Ist es also so einfach, die Dems müssen einfach nur ein bisschen links abbiegen und dann wird’s schon werden? Nein, das denke ich nicht. 

Spätestens seit dem Sieg von Barack Obama 2008 hat sich die Demokratische Partei immer weiter nach links verschoben, Reformen wie Obamacare wurden gar als Sozialismus verschrien. Just in dieser Zeit galt eine Abgeordnete noch als eher links, von der es heute keiner mehr behaupten würde – niemand geringeres als Speaker Nancy Pelosi. Am Beispiel Pelosi zeigt sich, dass sich die Partei bereits nach links verschoben hat und dass der Erfolg sich auf die Ballungsgebiete beschränkt. Ein Linksruck allein wird also das Problem auch nicht lösen. 

Ein Schritt nach vorne könnte ein personeller Neuanfang sein, neue Gesichter haben einen nicht zu unterschätzenden Wert: Hier sollte man besonders darauf achten, dass man auch Personal berücksichtigt, das die Breite der Partei und bisherige Schwachstellen abbildet. Dafür sehe ich auch einen Wechsel an der Spitze als notwendig an, denn bereits in den vergangenen beiden Jahren gelang es der mittlerweile 80-jährigen Sprecherin Pelosi nur mühselig, ihren „Laden“ zusammen zu halten, ihre Zustimmungswerte liegen mit 36,4 % nochmal deutlich unter den schlechten Werten von US-Präsident Trump2https://www.realclearpolitics.com/epolls/other/nancy_pelosi_favorableunfavorable-6673.html. Sie hat zweifellos hohe Verdienste erworben und ein entsprechendes Standing innerhalb und außerhalb ihrer Partei, jetzt ist es aber an der Zeit, die Bühne anderen zu überlassen und sich selbst zu einer Art Mentorin für die nächste Generation demokratischer Verantwortungsträger*innen zu entwickeln. Dieser Wechsel sollte schnell und möglichst einvernehmlich geschehen, denn die Herausforderungen sind riesig und jede*r sozialdemokratische Leser*in wird mir zustimmen, dass innerparteiliche Flügelkämpfe ziemlich schlecht fürs Geschäft sind. Darüber hinaus braucht der frischgewählte Präsident Biden eine starke Demokratische Fraktion insbesondere im House, um Handlungsfähigkeit nach seiner Inauguration am 20. Januar beweisen zu können. 

25 Stühle und die Quadratur des Kreises

Personelle Änderungen und Verjüngung sollten auch vor den anstehenden Benennungen des Kabinetts von Joe Biden nicht Halt machen, einige Namen stehen dabei sogar schon im Raum. Mit Ronald Klaine (ehemals Stabschef der Vizepräsidenten Biden und Gore) zieht ein alter Bekannter als neuer Stabschef ins Weiße Haus ein.  Mit Anthony Blinken, Jeh Johnson und Gerüchten zu Folge gar Hillary Clinton stehen ebenfalls altbekannte Namen aus der Obama-Administration auf den Shortlists oder sind bereits vom Transitionteam bestätigt. Natürlich ist es wichtig, dass der neue Präsident mit Menschen zusammenarbeitet, mit denen er bekannt ist und denen er vertraut, meiner Ansicht nach sollte er aber Mut beweisen und Talente wie Amy Klobuchar, Val Demmings, Tammy Duckworth, Cory Booker, Andrew Yang oder Pete Buttigieg in seine Regierungsmannschaft mit einbinden. Auch eine Einbindung des „Neu“-linken Flügels hätte ich für sinnvoll gehalten, jedoch fehlt mir die Fantasie, mir vorzustellen wie ein mehrheitlich republikanischer Senat eine AOC, Elizabeth Warren oder gar einen Bernie Sanders an der Spitze eines Bundesministeriums bestätigt. Letzteren hielte ich ebenfalls für eine Fehlbesetzung, da ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand wie Sanders als Teamplayer in einem Kabinett Biden agiert und mit seinen bald 80 Jahren zudem ebenfalls wie Pelosi eher den Abschied aus der ersten Reihe antreten sollte. Am Ende stellt sich auch noch folgende Gretchenfrage: Sollte es den einen oder anderen republikanischen Minister im Kabinett geben? Meine Antwort: Ja, ganz definitiv. 

Dafür gibt es zwei Gründe: Der erste ist pragmatisch, denn er wird dem Mehrheitsführer des Senats, Mitch McConnell, ein Angebot für die Bestätigung der übrigen Minister*innen machen müssen. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass Joe Biden angekündigt hat, Präsident aller Amerikaner*innen zu sein. Hierfür würde es sich anbieten, die Brücke zur anderen Seite der politischen Landkarte zu schlagen. Spontan fielen mir hier Namen wie Mitt Romney, Paul Ryan, John Kasisch und Susan Collins ein. Ich sehe hier etwas Potential, dass eine Regierungsbeteiligung der einzelner Republikaner*innen auch mäßigend auf ihre einst stolze Partei einwirken.  Denn man darf den Effekt von vier Jahren der Trump-Methodik nicht kleinreden. Die Grand-Old-Party hat sich verändert und mit ihr das Land. Dies zu analysieren wäre Stoff für einen weiteren Artikel, aber nur so viel: Donald Trump hat, ob nun trotz oder wegen seiner Art, mit deutlich über 70 Millionen Stimmen die zweitmeisten Stimmen geholt, die eine Präsidentschaftsanwärter je auf sich vereinigen konnte. Zwar ist dies für das Wahlergebnis irrelevant, jedoch schafft das, in Kombination mit den Wahlerfolgen der GOP, natürlich den Anreiz, diesen Weg weiter zu gehen. Es wird sicherlich nicht mit ein paar roten Stühlen am blauen Kabinettstisch getan sein. Aber es wäre ein Symbol und möglicherweise, auch wenn dies eine naive Hoffnung ist, eine Grundlage für einen Schritt weg von einer spalterischen Auseinandersetzung der beiden Parteien und mit ihr des ganzen Landes. 

Vice oder Co President Harris?

Wo wir nun bei neuen Gesichtern sind, kommt man an einer Person nicht vorbei: Die erste weibliche gewählte Vizepräsidentin in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika Kamala Harris.  Man mag im Vorfeld einiges an Kritik an dieser Personalie gehabt haben, insbesondere an ihrer Arbeit als Attorney General in Kalifornien, jedoch zeigte sie erst auf dem Demokratischen Nominierungsparteitag, später dann auf der Siegesfeierlichkeit, warum genau sie Joe Biden gut ergänzt. Sie ist rhetorisch äußerst begabt, schlagfertig, machtbewusst und vermittelt (auch mit ihren 55 Jahren) einen gewissen jugendlichen Kontrast zum Endsiebziger Biden. Es fällt nicht schwer zu glauben, dass die beiden, trotz anfänglicher Schwierigkeiten, einander vertrauen, sich schätzen und vor allem als ebenbürtig betrachten. Während Mike Pence ein gutbezahlter und äußerst konservativer Cheerleader für Donald Trump war, merkte man in der Kampagne und nun in den Anfängen der Übergangsphase sehr gut, wie Biden und Harris harmonieren. Auch die Kommunikation ist auf dieses Teamfeeling ausgerichtet, es wird stets von eine „Biden-Harris-Administration“ oder einer „Biden-Harris-Transition“ gesprochen. Damit steht man in massivem Kontrast zu vier Jahren „me, myself and I“ des amtierenden Präsidenten Trump. Daraus kann man meiner Ansicht nach auch herleiten, dass sich dies auch im Weißen Haus so fortsetzen wird und Kamala Harris mit ihrer eigenen Art und Weise einen großen Anteil an der Regierungspolitik haben wird. Darüber hinaus ist ihre Vorbereitung auf das mächtigste Amt der freien Welt auch dringend notwendig. Denn auch wenn ich nicht glaube, dass es bereits Pläne für die Amtsübernahme der 55-Jährigen gibt, ist Joe Biden in einem Alter, in dem seine Vizepräsidentin jederzeit damit rechnen muss, dass sie das Amt in jeder Sekunde übernehmen muss. Das macht sie in meinen Augen auch zur logischen Anwärterin auf die Demokratische Kandidatur im Jahre 2024. Den Willen hat sie, ihr Können muss sie spätestens ab dem 20. Januar 2020 unter Beweis stellen – die Bühne dafür wird sie bekommen.

Das Erwachen der Macht?

Wie im Star Wars-Universum ist auch im Nachgang dieser Präsidentenwahl eins gewiss, es geht weiter und entschieden ist noch lange nichts. Donald Trump ist zunächst besiegt, doch das Klima, das er geschaffen hat, wird bleiben (und ziemlich sicher er auch). Joe Biden steht vor der unmöglichen Herausforderungen, das Land zu einen und der Präsident aller Amerikaner*innen zu sein. Vom Transgender bis zum Texanischen Ranchbesitzer*innen. Allein diese Herausforderung scheint schon riesig, doch dazu kommt auch noch die Situation, dass sich beide Parteien in riesigen Umwälzungsprozessen befinden: Die Demokratische Partei steht ein Generations- und Flügelkampf ins Haus und das gemeinsame Feindbild Donald auf dass sich im Zweifel alle einigen konnten ist nun weg, ob sich die Partei durch eine Biden-Präsidentschaft erneut so disziplinieren lässt scheint zum aktuellen Zeitpunkt zumindest fraglich. Die GOP hingegen verliert die Präsidentschaft und mutmaßlich werden Konflikte zwischen dem gemäßigten und dem Trump-Lager in einer anderen Dimension ausbrechen, als das bisher der Fall war. Beides verheißt für die kommende Regierungsarbeit keine einfachen Voraussetzungen, doch die Probleme werden nicht kleiner: Die Pandemie und die daraus resultierende Wirtschaftskrise sowie ein Haufen außen- und innenpolitische Scherben warten auf den neuen Hausherren des Weißen Hauses und seine Mannschaft. Scheitert man, bereitet man abermals den Nährboden für Populisten vom Schlag Donald Trump, ist man aber erfolgreich, kann es diese Entwicklung deutlich verlangsamen. Der Sieg bei der Wahl am 3. November ist eine Chance, so wie sie Luke, Leia und Han am Ende von „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ hatten.

Von Max

Max ist 27 Jahre, arbeitet für eine Bundesbehörde in München und studiert an der FernUni in Hagen nebenbei Politikwissenschaften, Verwaltungswissenschaften und Soziologie. Davor war er hauptberuflich für einen sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten tätig und hatte verschiedene ehrenamtliche Funktionen innerhalb der SPD, in der er seit 2012 Mitglied ist, inne. Seine Themen hier sind Außenpolitik (Schwerpunkt USA & Osteuropa), Arbeits- und Innenpolitik.

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