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Dissens

Dissens – Rundfunkbeitrag

Die Möglichkeit zum Dissens ist der Wesenskern einer Demokratie. Deshalb lassen wir in unserem neuen Format „Dissens“ (Gast-) Autor*innen mit unterschiedlichen Positionen zu verschiedenen Themen zu Wort kommen. Nach der Veröffentlichung des Artikels, haben unsere Leser auf Twitter und Instagram für die stärkeren Argumente zu votieren. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und freuen uns auf Rückmeldungen!

Der falsche Zeitpunkt

Ich halte die derzeitigen Bemühungen zur Erhöhung des Rundfunkbeitrages für falsch. Mein geschätzter Kollege Joel wird nachfolgend vielleicht gewichtige Gründe für die Erhöhung anführen – zum Beispiel, dass die letzte Erhöhung viele Jahre zurückliegt und der Beitrag an die Inflation angepasst werden müsste. Möglicherweise wird er auch skizzieren, dass die Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) grundsätzlich bindend ist. Die Länderparlamente können so davon nur unter strengen Voraussetzungen abweichen. Rechtlich ist letzteres durchaus ein fundiertes Argument und die Chancen stehen gut, dass die Rundfunkanstalten vor dem Bundesverfassungsgericht obsiegen werden. Das alles überzeugt mich jedoch nicht. 

Ein Signal zur falschen Zeit 

Dieses Jahr ist alles anders und nichts wie es scheint, sodass politische, aber auch juristische Erfahrungsmuster aus der Vergangenheit wohl kaum anwendbar sind. Gerade in dieser Zeit halte ich die Erhöhung für ein falsches Signal. Zwar wirkt die Erhöhung von 86 Cent auf dem ersten Blick nur geringfügig, jedoch darf man hier auch nicht die Umstände außer Betracht lassen. Unzählige Geschäftsleute müssen nun im drohenden zweiten Lockdown wieder auf ihre Einnahmen verzichten. Millionen Arbeitnehmer*innen sind in Kurzarbeit, sodass sich auch ihre Einkommen verringern. In dieser Zeit auch nur irgendeine staatliche Zahlungspflicht anzuheben, halte ich für ein fatales Signal. Viel zu groß ist dabei die Gefahr, dass gerade in diesen Zeiten die Erhöhung schnell für Unmut sorgt und daraus eine noch stärkere Ablehnung gegenüber dem öffentlichen Rundfunk erwächst. 

Das Gebot der Sparsamkeit 

Es ergeben sich aber auch ganz grundsätzliche Bedenken jenseits der Pandemie. Die KEF ermittelt den Bedarf der Rundfunkanstalten anhand der Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.  Zwar haben die Rundfunkanstalten die letzten Jahre einen Sparkurs eingeleitet1https://www.zeit.de/kultur/2018-01/oeffentlich-rechtlicher-rundfunk-rundfunkbeitraege-budget-ausgaben/seite-3, jedoch sind immer noch Einsparmöglichkeiten ersichtlich. Neben vielen kostenintensiven, aber eher quotenarmen Eigenproduktionen verdient insbesondere das Spitzenpersonal allgemein sehr gut. Die Pensionsansprüche der MDR-Intendantin Karola Wille lagen zeitweise sogar über denen von Altkanzler Helmut Kohl2https://www.welt.de/kultur/medien/article168617024/Das-verdienen-Intendanten-und-Redakteure-bei-der-ARD.html. Selbst die Intendantin vom kleinen Radio Bremen verdient noch 270.000€ im Jahr3https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ard-nennt-einkuenfte-ihrer-spitzenverdiener-16901992.html. Der kleinste Stadtstaat mit einer Bevölkerung von einer halben Millionen Menschen leistet sich dabei neben einem Fernsehsender auch noch fünf Radiosender. Das wesentlich größere Berlin leistet sich zusammen mit Brandenburg im Gegensatz dazu immerhin nur sieben öffentlich-rechtliche Radiosender und einen Fernsehsender. Dennoch stellt sich auch dabei die Frage – bei all den Vorteilen dieser Regionalisierungen – ob eine solche geradezu ausufernde Vielfältigkeit noch vom Gebot der Sparsamkeit abgedeckt ist. 

Die Beitragspflicht ist ungerecht verteilt 

Die Tage konnte man sich auch verwundert die Augen reiben: Nahezu mit unbegrenzter Leidenschaft verteidigten auch Sozialdemokrat*innen die Beitragserhöhung. Dabei gibt es kaum eine sozial ungerechtere Abgabe als den Rundfunkbeitrag. Die Millionärin in ihrer Villa zahlt den gleichen Beitrag wie ich in meiner Studentenwohnung. Ich persönlich zahle in meiner Vierer-WG pro Person weniger als der einfache Single-Haushalt. Das ist einfach schwer vermittelbar. Die Erhöhung trifft nun jeden Haushalt in seiner Schwere individuell. Woher bei dieser sozial ungerechten Verteilung diese Leidenschaft zur Verteidigung entsteht, erschließt sich mir nun wirklich nicht.

Sozialdemokratische Perspektive 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sieht sich zunehmend Kritik ausgesetzt. Natürlich sollte sich die SPD innerhalb dieser Kritik immer für den Erhalt eines starken und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks einsetzen. Dieser ist in unserer dualen Rundfunkordnung als unabhängige und nicht den Gesetzen des Marktes unterworfene Einrichtung unersetzlich. Das sollte ihn jedoch nicht von sachlicher Kritik seitens der SPD befreien. Dabei sind das falsche Signal der Beitragserhöhung, die teilweise fehlende Sparsamkeit und die ungerecht verteilte Beitragspflicht nur einzelne Kritikpunkte. Vor dieser Kritik muss sich die SPD nicht scheuen. Sie sollte diese sachliche Kritik auch keinesfalls dämonisieren, im Gegenteil sollten wir die Reformbemühungen nicht denen überlassen, die mit den radikalsten Ansichten an diese Sache herangehen. Es ist Aufgabe der Länder den zugrundeliegenden Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bestimmen und ihn so zukunftsfest zu gestalten. Über diesen Auftrag sollte man gerade jetzt offen diskutieren.  

Christopher

Von Christopher

Christopher ist 26 Jahre alt, lebt in Berlin und beendet gerade sein Studium der Rechtswissenschaften. Er ist seit 2017 Mitglied in der SPD. Neben dem Studium arbeitet er für die Rechtsabteilung eines Schulbuchverlages. Er interessiert sich politisch vor allem für die Innen- und Rechtspolitik.

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Der ÖRR gehört gestärkt!

In die Diskussionen um den ÖRR mischen sich oft Emotionen der Extrempositionen ein, angefangen bei der Abschaffung des Rundfunks in der Art und Weise, wie wir ihn kennen, bis hin zur reflexionslosen Verteidigung einer Institution, die natürlich wie alles andere auch Probleme hat, die man aber angehen kann und sollte – unter anderem mit den Geldern, die wir ihr mit einer Erhöhung des Beitrags zugestehen sollten. Wichtig ist dabei: Reformen und ein neues Selbstbild müssen Maßstab für die nächsten Jahre sein.

Der Auftrag

Aus dem Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG leitet sich der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab – seine Gestaltung ist in Rundfunkgesetzen und dem Rundfunkstaatsvertrag geregelt. Kritiker*innen werfen dem ÖRR oft vor, seine Ziele zu verfehlen, doch betrachtet man den Rundfunkstaatsvertrag, so umfasst dieser unter dem Begriff Rundfunk eben auch neben Bildung kulturelle Angebote, die sich mit Philosophie, Kunst, Kino oder Literatur beschäftigen. Ebenso gehört ein Unterhaltungsangebot dazu sowie die Übertragung von Großereignissen wie Sport-Meisterschaften, die von gesellschaftlicher Relevanz sind. Für einen Festbetrag ermöglicht der ÖRR also ein Grundangebot an alle Menschen, das unabhängig von kommerziellen Diensten und jeglichen Interessen (z.B. auch politischen) funktioniert und Sport und Kultur für alle zugänglich macht. Finanziell schwächer gestellte Menschen können weiterhin von diesem Beitrag befreit werden und sind so von den für die Öffentlichkeit bestimmten Leistungen nicht exkludiert.

Die Zahlen

Mit der Zeit hat sich unser Leben drastisch verändert: die Digitalisierung hat das Warten auf den Gong der Tagesschau in den 60er, 70er oder 80er Jahren erweitert durch mobile Dienste und revolutionierte damit die Form der Informationsbeschaffung. Sofern wir nicht mit dem Zug in bestimmten Gebieten Deutschlands unterwegs sind, ist es uns jederzeit möglich, mobil an Informationen zu gelangen – und insgeheim warten wir darauf, dass was Spannendes unter dem Banner der Eilmeldung unsere Aufmerksamkeit durch Pop-Up-Nachrichten auf sich zieht. 

Betrachten wir hierbei die Mittel, die dem ÖRR in weniger digitalen Zeiten zur Verfügung standen, 1997 etwa 28,25 DM, so sehen wir, dass sich die Breite, die der ÖRR an Geräten und Diensten abdecken muss, vom TV-Gerät hin zu einem Allrounder entwickelt hat: Apps, Internetauftritte, Social Media (insbesondere die wichtige Arbeit der Tagesschau auf TikTok (!) sei hier erwähnt). 

Und gleichzeitig sehen wir unter Einbeziehung steigender Löhne und der Inflation, dass der Weg von 28,25 DM zu – wenn angenommen – 18,36 Euro nicht unglaublich weit ist (tatsächlich sogar „gesunken“), und schon gar nicht unter der Betrachtung der zusätzlichen Dienstleistungen, die in den letzten 23 Jahren bereitgestellt werden mussten, um eine Alternative zu kommerziellen Anbietern zu gewährleisten. Mehr noch, es handelt sich um die erste Erhöhung seit 2009: 2009 lag der Beitrag bei 17,98 Euro und wurde 2014 auf die heutigen 17,50 Euro gesenkt.  Die Dienstleistungen sind also vielseitiger geworden, obwohl sich am Beitrag pro Haushalt nicht viel im Laufe der Zeit geändert hat. 

Neue Gelder könnten zielgruppengerechter eingesetzt werden und bestehende Angebote verbessern.

Der Rahmen

Wie bei vielem anderen setzt auch bei der Erhöhung des Rundfunkbeitrages das Bundesverfassungsgericht einen Rahmen, der natürlich gesellschaftliche Grundsatzdebatten ermöglicht, einer Ablehnung der von der KEF erarbeiteten Erhöhung aber sehr enge Grenzen setzt, nämlich jene, dass die Landesparlamente darlegen müssten, dass eine Mehrbelastung unter keinen Umständen zumutbar sei. Nun kann (und sollte) man in der Corona-Krise diskutieren, ob man den Menschen nun 86 Cent mehr zumuten möchte und könnte. In der Argumentation müsste es nach dem Bundesverfassungsgericht aber um Grundsätzliches gehen. Man muss nicht darlegen, ob die 86 Cent eine unzumutbare Mehrbelastung sind, sondern ob die 17,50 Euro eine grundsätzliche und unzumutbare Belastung sind. Wer nämlich 18,36 Euro für unzumutbar hält, muss demnach 17,50 Euro auch für unzumutbar halten. Vor dem BVerfG ist das schwer haltbar: 2007 kassierte es eine Verweigerung der Erhöhung bereits ein. Eine Ablehnung des Staatsvertrages wäre politisch daher an dieser Stelle ein Schuss in den Ofen.

Die Reformen

Der Zeitpunkt dieser Erhöhung und die Arroganz, die Vertreter*innen des ÖRR teilweise in der Debatte an den Tag legen, ist jedoch etwas, das in einem Reformprozess zur Diskussion gestellt werden sollte. Ebenso sollte überlegt werden, inwieweit eine Flexibilisierung des Angebots möglich ist. Dafür sind infrastrukturelle Veränderungen nötig, die mit mehr Finanzmitteln angegangen werden können.

Der ÖRR ist wichtig, er bietet allen Menschen einen Zugang zu Informationen, zu Bildung und Kultur. Das BVerfG setzt hier einen sehr strikten Spielraum. Doch genau diesen Rahmen sollten wir bei einer Zustimmung der Erhöhung nutzen, um dringend notwendige Reformen zu ermöglichen: die Zeiten wandeln sich, der ÖRR muss es auch.

Joel

Von Joel

Joel ist 21 Jahre alt, lebt in Wolfsburg und studiert Integrierte Sozialwissenschaften in Braunschweig. Seit 2017 ist er in der SPD und gehört seitdem auch der SPD-Fraktion Wolfsburg an. Politische Erfahrung durfte er als Werkstudent sowohl im Niedersächsischen Landtag, als auch bei einem großen Mobilitätsdienstleister sammeln. Interessieren tut er sich für Europa, Gesellschaft und Mobilität. Norddeutsch gelassen.

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Von Christopher

Christopher ist 28 Jahre alt und lebt in Berlin. Die Eigenarten und die Vielseitigkeit der Stadt schätzt er sehr und nimmt sie auch gerne mal vor dem tadelnden Blick anderer in Schutz. Christopher arbeitet als Jurist in einer Kanzlei und ist seit 2017 Mitglied der SPD. Politisch interessiert er sich vor allem für die Innen- und Rechtspolitik.

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