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Wirtschaft & Arbeit

Wir müssen kreativ sein

Langsam erwacht Deutschland aus seinem Dornröschenschlaf. Die Restaurants öffnen, sogar in Clubs und Bars kann man als junger Mensch wieder gehen. Nur wie kommen wir nach Corona dort hin und wie nach Hause? Ein Appell für mehr Kreativität.

Als Wolfsburger schlägt mein Herz für Mobilität und – natürlich – auch für Autos an sich. Gerade im ländlichen Raum sind Autos oft unumgänglich und ein guter Freund, um seine Ziele schnell und meist unkompliziert zu erreichen. Die verkehrstechnische Infrastruktur ist in vielen deutschen Regionen einfach noch nicht weit genug, um Menschen völlig selbstverständlich den Hinweis zu geben, sie könnten doch etwas für die Umwelt tun und auf das Auto verzichten, ein Bus fahre doch bestimmt auch. Das tut er. Aber unflexibel und dann oft nur stündlich und ab einer bestimmten Uhrzeit schließlich gar nicht mehr. Das schränkt ein. Aber: Es wird besser werden. Wenn wir Mobilität nicht als Entweder/Oder sehen, sondern als einen Mix, den wir für jede Region immer wieder neu und besser zusammenstellen.

Neue (E-)Mobilität: Was machen die Autobauer?

Dass das Auto einem Wandel unterzogen wird, ist offensichtlich. Die klimafreundlicheren E-Autos sind auf dem Vormarsch, in Deutschland und Europa hat (neben dem Pionier Tesla) Volkswagen vorgemacht, wie eine radikale Transformation gelingen kann. BMW wagte den Weg bereits vor knapp zehn Jahren mit seinem i3 verfolgte das Ziel dann aber erst Jahre später wieder. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, ob Elektromobilität made in Germany gelingen kann. Aus Golf wird perspektivisch der elektrische iD.3 – Modelle nach oben und unten sind dabei auch in Planung. Tesla baut in Windeseile eine Fabrik in Grünheide und wird ebenfalls seinen Teil zur Elektrifizierung des Straßenverkehrs leisten. Das ist äußerst begrüßenswert, auch wenn beim E-Auto natürlich noch Fragen offenbleiben. Zum Beispiel, wie wir auch in weniger dicht besiedelten Gebieten eine gute Ladeinfrastruktur bereitstellen können. Kommunale Kooperationen mit Supermärkten und ihren großen Parkplätzen können da schon einen nicht unwesentlichen Teil leisten. Allerdings reicht das natürlich noch lange nicht aus, um Elektromobilität zuverlässig gewährleisten zu können – und wo kommt dieser Strom her? Doch wer wären wir, wenn wir uns davon abschrecken ließen?

Mit der Transformation Volkswagens weg vom Automobilkonzern hin zum Mobilitätsdienstleistungskonzern geht nicht nur die Elektrifizierung des Autos einher. Vielmehr passiert genau das, was Antworten auf vielerlei Mobilitätsfragen geben wird: Wie schaffen wir ein Ökosystem, in dem das E-Auto als ein wesentlicher Bestandteil in einem Mix aus verschiedenen Mobilitätsangeboten eingesetzt werden kann? Volkswagen hat dazu mehrere neue Marken ins Leben gerufen, die attraktive Angebote im Bereich der Mobilität darstellen können. Nennen möchte ich MOIA und Elli. MOIA kennen diejenigen, die in Hamburg, Hannover oder Berlin leben. Es sind die goldenen E-Busse, die für den Ride-Hailing-Dienst per App geordert werden können und die Kund*innen von einer der 10.000 digitalen Haltestellen abholen und zum Ziel ihrer Wahl bringen – entweder fährt man alleine oder jemand steigt noch ein, dessen Ziel auf dem Weg liegt. Elli ist die neue Naturstrommarke des Konzerns, die sich um die Ladeinfrastruktur bemüht und Wallboxes etc. für die Besitzer*innen von E-Autos anbietet.

Mit einer großen Kooperation zwischen BMW und Daimler, bei der unter dem Label „YOUR NOW“ die fünf Mobilitätsdienstleistungen FREE NOW; SHARE NOW, CHARGE NOW, REACH NOW und PARK NOW gebündelt werden, sollen innovative Lösungen für Mobilität in Kommunen und Metropolen angeboten werden. Diese zwei Beispiele sollen verdeutlichen, dass Mobilität ein Ökosystem ist, das am besten funktioniert, wenn es ganzheitlich und vielseitig gedacht werden kann. Auch mit Tesla – insbesondere im Bereich des autonomen Fahrens – wird hierbei zu rechnen sein. Die Automobilindustrie bereitet sich auf den Wandel in der Mobilität vor und die Konkurrenz ist groß, wenn Giganten wie Google und Apple in das Geschäft einsteigen.

ÖPNV neu- und umdenken

Doch wieso diese Beispiele? Denken wir daran, wie prekär die ÖPNV-Situation gerade abends in ländlicheren Gegenden ist und um 23:00 Uhr möglicherweise der letzte Bus fährt, so muss man – außer man trinkt nichts oder jemand hat sich zum Fahren bereiterklärt – die Feier oder den Club schon verlassen, bevor die Party wirklich begonnen hat. Der starre ÖPNV mit seinen festgelegten Zeitplänen, der auch vielerorts insbesondere am Tag einen guten Dienst leistet, sollte abends durch ein flexibleres Angebot ergänzt werden. Auch kommunal kann dies gelingen, indem man mit der lokalen Verkehrsgesellschaft über sogenannte Anrufbusse sondiert, die ebenfalls über eine App oder per Telefon geordert werden können, einen ähnlichen Ticketpreis wie reguläre Fahrkarten haben und – wem dies wichtig ist – kommunal getragen werden. Dabei können auch kleinere Fahrzeuge wie ein Bulli oder Crafter eingesetzt werden, sodass kein großer Bus benötigt wird, denn es ist auch niemandem geholfen, wenn abends und nachts große leere Busse durch die Dörfer rasen und sowohl CO2 emmitieren als auch lärmbelästigend sind.

Sand im Getriebe für Innovationen in der Mobilität

Marktwirtschaftlichere Angebote wie MOIA sahen sich lange Zeit schwierigen gesetzlichen Regularien des Personenbeförderungsgesetzes entgegen, da die Taxi-Lobby, der mehr Innovationswillen zuzutrauen sein sollte, stark gegen neue Mobilitätsmöglichkeiten gekämpft hat. Bisher haben Dienste wie MOIA nur mit Ausnahmeregelungen in den einzelnen Städten funktioniert, mit dem im März verabschiedeten „Gesetz zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts“ wird ein festes Fundament für diese Dienste geebnet. Das ist gut, denn diese Sicherheit braucht es auch für andere, um sich in der Mobilitätsfrage einbringen zu können. Wichtig aus Sicht der Sozialdemokratie sollte dabei immer bleiben, dass geltende Arbeitsschutzregelungen und innovative (oder gar disruptive) Dienstleistungen in einen Ausgleich gebracht werden. Allerding – und dies ist an der Novelle zu kritisieren – sollte man nicht zum Schutz des klassischen Taxigewerbes die (klimafreundlichere) Logik von Ride-Hailing-Angeboten regulieren; die Novelle sieht jedoch vor, dass Mobilitätsdienstleister nach Einsatz immer zu einem festen Standort zurückkehren müssen (sog. Rückkehrpflicht), ehe ein neuer Auftrag angenommen wird. Das ist weder effektiv noch klimafreundlich und sollte bei einer weiteren Bearbeitung des Gesetzes bedacht werden.

Plattformdienste wie Uber funktionieren in den USA anders als hier und sind nur schwer mit unseren Regeln vereinbar. Die Fahrer*innen dort kommen vollkommen alleine für ihr Auto auf; sie tragen die Kosten für Sprit, Reparaturen, Steuern und Versicherungen sowie sämtliche Unfallschäden. Krankheitsfälle werden nicht bezahlt und die Plattform behält es sich vor, jederzeit Fahrer*innen von der Plattform entfernen zu können, was bei einer höheren Abhängigkeit finanzielle Schwierigkeiten bedeutet. Die Regeln Plattformunternehmen zu überlassen ist daher nicht wünschenswert. Das digitale Estland sucht nun einen Mittelweg, um der Nachfrage der Menschen nach innovativeren Konzepten als Taxis einerseits sowie der Gewährleistung von Arbeitnehmer*innenrechten andererseits gerecht zu werden. Dies sollten wir auch tun.

Vorreiter Österreich: Wie der Staat Mobilität attraktiver gestalten kann

Neben Regularien kann aber auch der Staat innovativere Konzepte entwickeln, um seinen Teil zu einem attraktiven Mobilitätsmix zu leisten. Österreich macht dies aktuell vor: Mit dem 1-2-3-Klimaticket haben die Österreicher*innen die Wahl, zu entscheiden, wie viel ÖPNV sie nutzen wollen. Mit dem 1er-Ticket (365€/Jahr) können die öffentlichen Verkehrsmittel im eigenen Bundesland genutzt werden, mit dem 2er-Ticket (730€/Jahr) in zwei Bundesländern und mit dem 3er-Ticket (1095€/Jahr) ist ganz Österreich abgedeckt. Während Deutschland seine heiligrömische Kleinstaatenphilosophie auch mit den unglaublich vielen Verkehrsverbunden fortführt, hat Österreich eine gute Lösung zur Erweiterung der Mobilität neben dem Auto geschaffen. Nun könnte man argumentieren, Österreich sei kleiner als Deutschland und all dies sei hier nicht möglich. Aber ehrlich gesagt haben wir zu lange darüber diskutiert, was alles nicht gehe und viel zu wenig darüber, was für ein Potential eigentlich in unserem Land und den Verkehrsverbünden steckt.

Digitalisierung in Bus-, Bahn- und Fahrradverkehr

Die Chancen der Digitalisierung müssen auch von staatlichen Verbünden genutzt werden. Es kann nicht sein, dass man im Jahr 2021 an einer Bushaltestelle steht, der Bus nicht kommt, obwohl er planmäßig erscheinen soll und man keine Chance hat, digital nachzuvollziehen, wo sich dieser Bus befindet. Der digitale Ticketkauf ist in vielen Orten immer noch nicht möglich. Wer im 20. Jahrhundert verharrt, wird Menschen nicht für den ÖPNV begeistern können. Was geschehen muss, ist, dass per App ein Ticket gekauft werden kann und per GPS nachvollziehbar ist, wo der Bus bleibt. Im Falle eines Ausfalls wäre es dann Aufgabe dieser App, alternative Mobilitätsangebote auf einer Karte anzuzeigen (bspw. ein Car-Sharing-Auto, E-Scooter, usw.). Uns fehlt die Zeit, um konservativ zu sein.

Zu guter Mobilität gehören natürlich auch ausgebaute Fahrradwege – dies ist allerdings eine Selbstverständlichkeit, derer sich die Kommunen bewusst sein sollten. Auch hier können sich Angebote wie nextbike durchsetzen, die ähnlich wie im Segment der E-Scooter mit LIME oder TIER funktionieren und so Fahrräder per QR-Code ausgeliehen werden können. Das ist umso praktischer für Menschen ohne eigenes Fahrrad und kann den Verkehr letztlich stärker vom Auto auf das Rad lenken. Ebenso ist für einen breiteren Mobilitätsmix notwendig, dass das Bahnnetz konsequent ausgebaut und die Nutzung des ÖPNV günstiger wird. Wenn das Auto und auch das Flugzeug günstiger sind, werden diese Angebote genutzt. Bevor man davon spricht, die Nutzung dieser Fortbewegungsmittel teurer zu machen und hierdurch Geringverdiener*innen zu belasten, sollte einem am Herzen liegen, dass wir massiv in klimafreundlichere Mobilität investieren. Der Preis macht für viele Menschen die Musik. Da die Zeitersparnis zwischen Flug und Zug besonders innereuropäisch nicht unbedingt immer überwältigend positiv für das Flugzeug ausfällt, sollten wir alles daran setzen, europaweit in das Schienennetz zu investieren, damit eines Tages die Strecke Lissabon-Helsinki mit dem Zug konkurrenzfähig zum entsprechenden Flug wird.

Wir müssen kreativ sein

Die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen wollen, ist eine große Frage. Sie nicht als Entweder/Oder, sondern als integrierendes Ökosystem zu begreifen, in welchem jede Branche ihr Angebot unterbreitet, ohne den Menschen vorzuschreiben, was sie letztlich zu nutzen haben, wäre ein erster Schritt, um in den 20er Jahren voranzugehen und Mobilität in Deutschland diverser zu gestalten. Ein Patentrezept gibt es nicht und wird es wohl auch künftig nicht geben. Es könnte eine Mobilitätskarte sein, es könnte auch etwas völlig Anderes sein. In ländlichen Regionen wird das Auto auch in den nächsten Dekaden einen wesentlich höheren Stellenwert haben als in Metropolen wie in Berlin – und das ist auch in Ordnung. Kreativität ist überall gefragt und was in Berlin funktioniert, kann auch in Hamburg funktionieren, in Neubrandenburg hingegen nicht. Daher benötigen wir überall innovative Ideen, Kooperationen zwischen staatlichen und marktwirtschaftlichen Akteur*innen und immer das von Offenheit geprägte Mindset, dass wir Mobilität für alle attraktiver machen zu können, indem wir alles als Mix denken.

Von Joel

Joel ist 21 Jahre alt, lebt in Wolfsburg und studiert Integrierte Sozialwissenschaften in Braunschweig. Seit 2017 ist er in der SPD und gehört seitdem auch der SPD-Fraktion Wolfsburg an. Politische Erfahrung durfte er als Werkstudent sowohl im Niedersächsischen Landtag, als auch bei einem großen Mobilitätsdienstleister sammeln. Interessant findet er Wirtschaft, Digitales und Gesellschaft.

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