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Gastartikel Gesellschaft Wirtschaft & Arbeit

Für eine Politik des Respekts – während und nach der Krise

Die Corona-Pandemie ist die größte gesundheitliche, aber vor allem auch wirtschaftliche Krise unserer Generation. Sie hat uns allen in den vergangenen Monaten einiges abverlangt – beruflich und privat. Sie betrifft alle Bereiche unserer Gesellschaft und beschleunigt zusätzlich Entwicklungen, die wir auch schon in den Jahren davor gesehen haben – gerade auch in der Arbeitswelt.

Keiner von uns hat sowas wie Corona vorher erlebt. Niemand hatte eine Blaupause für diese Krise. Aber gerade in solchen Momenten gilt es, Verantwortung zu übernehmen und anzupacken.

Dabei mussten wir auch immer mit an die Zeit nach der Pandemie denken – an die Arbeit und die soziale Sicherheit der Zukunft. Denn diese Krise wird vorübergehen. Die großen Herausforderungen dieses Jahrzehntes aber werden bleiben. Das bedeutet, wir müssen kurzfristig weiterhin Beschäftigung und wirtschaftliche Existenzen sichern und zugleich auch die langfristigen Veränderungen begleiten.

Die Corona-Pandemie hat uns einmal mehr gezeigt, wie wichtig ein starker Sozialstaat ist, der den Menschen Sicherheit und Vertrauen gibt. Mit der Kurzarbeit haben wir Millionen Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt. Das war teuer, aber Massenarbeitslosigkeit wäre noch viel teurer gewesen. Wir haben zudem einen Schutzschirm für Ausbildung gespannt und die Ausbildungsprämien erhöht, damit sich mehr Unternehmen auch in der Krise dafür entscheiden, jungen Menschen eine Perspektive zu geben und auszubilden. Denn eine verlorene Generation Corona können wir uns wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht leisten.

Wir haben in der Pandemie auch erlebt, dass Menschen erstmals auf staatliche Hilfe angewiesen waren. Sie haben schnell und unbürokratisch Hilfe gebraucht. Dafür haben wir den Zugang zur Grundsicherung erleichtert. Gerade hier müssen wir auch aus der Krise lernen und die Grundsicherungssysteme weiterentwickeln. Wir brauchen mehr bürgerfreundliche Regelungen und weniger Bürokratie in der Grundsicherung. Es geht um Sicherheit und mehr Vertrauen in einen Sozialstaat auf Augenhöhe.  Gleichzeitig ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen in der Krise wieder stark angestiegen. Für sie ist der Weg zurück in den Arbeitsmarkt jetzt noch steiniger. Hoffnung macht, dass das Teilhabechancengesetz erfreulicherweise auch in der Privatwirtschaft gut angenommen wird und der soziale Arbeitsmarkt bisher auch in der Pandemie stabil geblieben ist. Das zeigt, dass sich Engagement auch in schwerem Fahrwasser lohnt. Hier müssen wir ansetzen und unsere Anstrengungen für Langzeitarbeitslose weiter ausbauen.

Die Pandemie wirkt auch wie ein Brennglas und zeigt uns, was in unserem Land nicht funktioniert und wo wir besser werden müssen, beispielsweise mit Blick auf den Schutz am Arbeitsplatz. In der Fleischindustrie haben wir mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz dafür gesorgt, dass Werkverträge und Zeitarbeit nicht mehr zur Ausbeutung der Beschäftigten missbraucht werden. Denn Ausbeutung ist kein Geschäftsmodell. Außerdem müssen wir diejenigen stärker unterstützen, die den Laden am Laufen halten – in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, in den Supermärkten und bei den Lieferdiensten. Im letzten Jahr haben Pflegerinnen und Pfleger viel öffentlichen Applaus bekommen. Anerkennung muss sich aber auch auf dem Gehaltszettel zeigen. Hier waren Pflegemindestlöhne ein erster wichtiger Schritt, aber wir müssen mehr tun. Wir brauchen flächendeckende und verbindliche Tarifverträge in der Pflege. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass die Pflegehelferin, die Kassiererin und der Lastwagenfahrer nach einem langen Arbeitsleben eine anständige Rente erhalten. Mit der Grundrente haben wir einen sozialpolitischen Meilenstein erreicht. Wer jahrzehntelang hart gearbeitet, Kinder großgezogen und Angehörige gepflegt hat, verdient eine auskömmliche Rente.

Und auch insgesamt gilt: Wer arbeitet, muss auch ordentlich entlohnt werden.

Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte, aber er bleibt aktuell hinter der Lohnentwicklung zurück. Er soll auf mindestens 12 Euro im Jahr 2022 ansteigen. Das ist auch wirtschaftspolitisch vernünftig. Denn höhere Löhne im nächsten Jahr werden einen Kaufkrafteffekt haben und damit die Konjunktur stärken. Gleichzeitig wollen wir mit einem Bundestariftreuegesetz die Attraktivität von Tarifverträgen erhöhen. Wir müssen auch die Möglichkeit vereinfachen, Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären, damit sie für alle Beschäftigten in einer Branche gelten. Denn mehr Tarifverträge bedeuten bessere Bezahlung, mehr soziale und arbeitsrechtliche Sicherheit und bessere Arbeitsbedingungen.

Die Pandemie wirkt zudem wie ein Beschleuniger für den Strukturwandel und setzt viele Unternehmen zusätzlich unter Druck. Wichtig ist, dass wir den Strukturwandel begleiten und Strukturbrüche verhindern. Das bedeutet auch, dass wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute fit machen für die Arbeit von morgen. Durch den Strukturwandel werden individuelle Berufs- und Branchenwechsel weiter an Bedeutung gewinnen. Weiterbildung und Qualifizierung sind der Schlüssel für den Standort Deutschland in diesem Jahrzehnt. Daran müssen wir gemeinsam mit den Unternehmen und Sozialpartnern arbeiten. Mit dem Qualifizierungschancengesetz und dem Arbeit-von-morgen-Gesetz sind wir dem Ziel, jeden einzelnen bei seiner Lebensplanung zu unterstützen, ein großes Stück nähergekommen. Wir brauchen ein Recht auf Weiterbildung und beruflichen Neustart in allen Lebensphasen. Dafür ist eine breite Allianz der Sozialpartner und ein offener Dialog zwischen Wissenschaft und Politik Voraussetzung.

Der digitale Strukturwandel wirft neue soziale Fragen auf. So beeinflusst etwa Künstliche Intelligenz (KI) immer stärker unseren Alltag. Hier ist es wichtig, dass der Einsatz von KI auch transparent und nachvollziehbar bleibt. Gleiches gilt für das Arbeiten in der Plattformökonomie. Plattformen erleichtern vielen Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Das ist gut, muss aber auch fair ausgestaltet sein. Dazu gehört, dass Solo-Selbstständige, die ihre Jobs über Plattformen beziehen, Zugang zu sozialer Sicherung haben.

Auch digitale Arbeit muss gute Arbeit sein, deshalb müssen wir auch für gute Arbeitsbedingungen im Homeoffice sorgen.

Wir erleben derzeit einen ungeplanten Großversuch bei der mobilen Arbeit. Innerhalb weniger Tage mussten sich Unternehmen und Beschäftigten auf Arbeit außerhalb ihrer Büros umstellen. Für Millionen von Beschäftigten ist das inzwischen Teil einer neuen Normalität. Das soll auch so bleiben. Dafür brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen, der für mehr Sicherheit und Klarheit sorgt. Irgendwann muss auch im Homeoffice Feierabend sein. Und wir brauchen klare Regeln für den Gesundheits- und Versicherungsschutz.

Auf all diese Fragen müssen wir Antworten finden – in der Krise und danach. Dafür braucht es eine Politik, die verlässlich, verständlich und transparent ist und trotzdem schnell reagiert. Eine Politik, die den Menschen mit Respekt begegnet, ihnen zuhört und mit ihnen Zukunftsperspektiven entwickelt. Das ist sozialdemokratische Politik – und auf die kommt es jetzt an.

Von Hubertus Heil

Hubertus Heil ist 1988 in die SPD eingetreten – aus Empörung über die unsoziale Bildungspolitik der CDU in seiner Heimat Niedersachsen. Seitdem setzt er sich dafür ein, dass endlich alle Menschen in Deutschland gute und möglichst gleiche Lebenschancen erhalten. Und zwar unabhängig von Herkunft, sozialer Schicht oder Geschlecht. Seit 1998 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2018 Bundesminister für Arbeit und Soziales und seit 2019 stellvertretender Vorsitzender der SPD.